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41% Behinderte?

Laut Statistik leben in Österreich 41 % der Bevölkerung mit einer Behinderung. Bedeutet das, dass Behinderung „normal“ ist? In dieser Unterrichtssequenz werden die Grenzziehungen zwischen „normal“ und „behindert“ reflektiert sowie die Fremdzuschreibungen hinterfragt, mit denen Menschen mit Behinderungen bedacht werden. Außerdem wird gefragt, was es bedeuten kann, mit einer Behinderung zu leben. Dazu werden Aussagen von Personen mit körperlichen Beeinträchtigungen (diese stammen aus Interviews, die im Rahmen des Projekts von StudentInnen geführt wurden) herangezogen. Welche Vorstellungen und Bedingungen eines guten Lebens werden von den Betroffenen formuliert? Was macht das Leben für sie schwierig, was erleichtert es, mit den alltäglichen Herausforderungen umzugehen und selbstbestimmt leben zu können?  

Unterrichtsbausteine

Die Lernenden werden über die „Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“ (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) informiert und setzen sich dann mit zwei Texten auseinander, in denen Aussagen von Betroffenen im Mittelpunkt stehen: „Wir haben viele Freiheiten, aber auch viele Einschränkungen“ von Julia Lichtenwallner und „Viele sehen einzig und allein den metaphorischen Rollstuhl“, Interview mit Evelyn Schmied-Wadda von Artur Gazda.

Gemeinsam werden folgende Fragen besprochen: Inwiefern stellt es für die InterviewpartnerInnen ein Problem dar, dass Behinderung/Beeinträchtigung dem Normalen entgegengesetzt wird? Welche Beeinträchtigungen und Behinderungen werden zur Sprache gebracht? Was wird als hilfreich und was als erschwerend beschrieben?

In Gruppen setzen sich sodann die Lernenden mit ihrem Lebensumfeld auseinander und gehen folgenden Fragen nach: Was fehlt Ihrer Meinung nach in unserer Gesellschaft im Allgemeinen und in unserem Bezirk im Besonderen, um einem Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung oder mit einer Querschnittslähmung volle Teilhabe zu gewähren? Und was gibt es schon?

Sodann nimmt jede Gruppe die Rolle von SachbearbeiterInnen für BezirksrätInnen ein und ist für einen Bereich zuständig: Schule/Ausbildung, Wohnbau, Infrastruktur, Ämter und Behörden, öffentlicher Verkehr usw. Die Gruppen recherchieren auf den Websites der betreffenden Institutionen ihren Bereich betreffend Hinweise auf Barrierefreiheit, sie ermitteln vor Ort (in und rund um die Schule, in ihrer Wohnumgebung, an öffentlichen Plätzen etc.) und dokumentieren Beispiele mit Fotos und Aufzeichnungen. Die „SachbearbeiterInnen“ bereiten die Ergebnisse für die Sitzung vor, in der die „BezirksrätInnen“ abschließend die Problemlagen darlegen und Lösungen diskutieren. Haben die Lernenden wichtige Defizite und/oder gute Vorschläge für deren Beseitigung ausgearbeitet, sollten sie darin bestärkt werden, diese auch realiter an die zuständigen Behörden oder an politische VertreterInnen zu übermitteln. 

In einer abschließenden Diskussion im Plenum werden die Texte der Betroffenen sowie die Ergebnisse der „BezirksrätInnen“ anhand der ethischen Werte Gerechtigkeit, Solidarität, Selbstbestimmung und Anerkennung (siehe Hintergrundartikel Leiblichkeit und Anerkennung) diskutiert. 

Weitere Fragen, die abschließend zur Diskussion gestellt werden können:

  • Wie wirken sich Leistungsfähigkeit, Produktivität und Effizienz als Leitwerte unserer Gesellschaft auf die Einschätzung der Lage und die Umsetzung der Pläne der BezirksrätInnen aus? 
  • Warum könnte trotz aller Bedenken die Kategorisierung von Abweichungen wichtig sein? Z.B.: Ansprüche, Fördermittel, Entschädigungen etc. im Sinne der Chancengleichheit und eines selbstbestimmten Lebens. 

Literatur

Leitfaden für einen nicht-diskriminierenden Sprachgebrauch. Hg. v. Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit. Verfügbar unter: www.uibk.ac.at/gleichbehandlung/sprache/leitfaden_nicht_diskr_sprachgebrauch.pdf (download am 6.6.2012).

Elisabeth Beck-Gernsheim (2001): Die soziale Konstruktion des Risikos – das Beispiel der Pränataldiagnostik. In: Christian Geyer (Hg.): Biopolitik. Die Positionen. Frankfurt am Main, 21–41.

Filmempfehlung

Me too - Wer will schon normal sein? Ein Film von Álvaro Pastor Gaspar und Antonio Naharro, ES 2009 (Laufzeit 103 Minuten)

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