Drucken 

Blickwechsel

Anerkennung ist ein wichtiger Begriff der praktischen Philosophie. Gelungene Anerkennungsbeziehungen sind Voraussetzung für die Ausbildung und Stabilität personaler Identität und das Empfinden der eigenen Würde. Dass soziale Anerkennung einen bedeutenden Einfluss auf die Gesundheit ausübt, wird nicht nur von unterschiedlichen Untersuchungen im Bereich der Gesundheitsforschung (vgl. Wilkinson 2001; Siegrist 1996) gestützt, auch die Forschungsergebnisse aus der Neurowissenschaft und Entwicklungspsychologie haben die Bedeutung sozialer Anerkennung bereits vielfach belegt. Lernende nähern sich anhand unterschiedlicher Aussagen und Situationsbeschreibungen von pflegebedürftigen und chronisch kranken Menschen sowie von Personen mit Behinderungen dem Begriff an und setzen ihn mit eigenen Erfahrungen in Beziehung. Sie erweitern ihr theoretisches Wissen zur Struktur und Bedeutung von sozialer Anerkennung im Zusammenhang mit moralischen Einstellungen.

Unterrichtsablauf

 Zu Beginn wird der Begriff „Anerkennung“ besprochen und darauf aufmerksam gemacht, dass er den Wortbestandteil „Erkennen“ enthält. Dann wird festgehalten, was die Lernenden mit dem Begriff „Anerkennung“ assoziieren.

Im nächsten Schritt bekommen die Lernenden das Arbeitsblatt Blickwechsel, wo Interviewaussagen implizit oder explizit Aspekte von Anerkennung, Verkennung und Übersehen-Werden thematisieren. Die Lernenden setzen sich in Gruppen mit folgenden Fragen auseinander:

Die Lernenden fassen die Ergebnisse der Gruppenarbeiten zusammen und stellen sie dem Plenum vor. Dabei soll genügend Platz für eine Diskussion eingeräumt werden: Worüber kann Einigung gefunden werden, was ist offen geblieben und welche neuen Fragen sind aufgetaucht? Die Einheit wird durch theoretische Ausführungen zur Anerkennung ergänzt. 

Variante 1

Rund um die Interviewaussagen oder Erfahrungen der SchülerInnen, in denen Anerkennung, Nicht-Anerkennung oder Verkennung zum Ausdruck gebracht wurden, kann eine Situation nachgespielt oder ein Standbild aufgebaut werden. Dabei sollen eigene Empfindungen in der dargestellten Handlung erkundet oder damit verbundene Gefühle und Gedanken öffentlich gemacht werden (nähere Beschreibungen dieser Unterrichtsmethode finden sich beispielsweise bei Oelke u.a. 2000; Scheller 1998).

Variante 2

Die von Axel Honneth (siehe Hintergrundtext Anerkennung) beschriebenen Sphären der Anerkennung können mit Schilderungen, wie Personen mit Beeinträchtigungen bzw. chronischen Krankheiten ihr Leben meistern und mit welchen Schwierigkeiten sie konfrontiert sind (siehe Betroffenensicht), in Beziehung gesetzt werden. So können gesellschaftliche Praktiken und Handlungsmuster hinterfragt sowie neue Fragehorizonte, Möglichkeits- und Zielperspektiven eröffnet werden. Folgende Fragen bieten sich an:

Variante 3

Soll stärker auf die Aspekte Pflege oder Gesundheit fokussiert werden, können die Ausführungen von Johann Behrens (2002) „Inklusion durch Anerkennung. Chronische Krankheit, das Veralten der Indikatoren sozialer Ungleichheit und die Herausforderungen an die Pflege und andere Gesundheitsberufe“, der Artikel von Doris Pfabigan „Anerkennungstheoretische Überlegungen zum Gesundheitsbegriff“ (2009) sowie der Film „Mehr als ich kann“ (2011) miteinbezogen werden.

Variante 4

Für die hier verhandelte Fragestellung nach Anerkennung, Verkennung und Übersehen-Werden könnte auch der Prolog des Romans „Der unsichtbare Mann“ von Ralph Ellison (2003) gelesen werden. Dort berichtet der namenlos bleibende Ich-Erzähler von seiner sozialen Unsichtbarkeit, gegen die er vergebens versucht anzukämpfen. Nur indirekt erfahren die Lesenden im Laufe der Schilderungen des Protagonisten, dass es sich um einen Menschen mit schwarzer Hautfarbe handelt. Für die Bearbeitung dieses Textes kann Axel Honneths Aufsatz „Unsichtbarkeit. Über die moralische Epistemologie von ‚Anerkennung‘“ herangezogen werden. 

Literatur

Behrens, Johann (2002): Inklusion durch Anerkennung. Chronische Krankheit, das Veralten der Indikatoren sozialer Ungleichheit und die Herausforderungen an die Pflege und andere Gesundheitsberufe. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie 27/4, 23–41. Verfügbar unter: http://www.springerlink.com/content/dq95227168742m02/.

Ellison, Ralph (2003): Der unsichtbare Mann. Hamburg.

Honneth, Axel (2003): Unsichtbarkeit. Über die moralische Epistemologie von „Anerkennung“. In ders.: Unsichtbarkeit. Stationen einer Theorie der Intersubjektivität. Frankfurt am Main, 10–28.

Pfabigan, Doris (2009): Anerkennungstheoretische Überlegungen zum Gesundheitsbegriff. In: Ingrid Spicker/Gert Lang (Hg.): Gesundheitsförderung auf Zeitreise. Herausforderungen und Innovationspotentiale auf dem Weg in die Zukunft. Wien, 39–48.

Plessner, Helmuth (1950): Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen menschlichen Verhaltens. Bern.

Oelke, Uta/Scheller, Ingo/Ruwe, Gisela (2000): Tabuthemen als Gegenstand szenischen Lernens in der Pflege. Bern.

Scheller, Ingo (1998): Szenisches Spiel. Handbuch für die pädagogische Praxis. Berlin.

Siegrist, Johannes (1996): Soziale Krisen und Gesundheit. Göttingen u.a.

Wilkinson, Richard (2001): Kranke Gesellschaften. Soziales Gleichgewicht und Gesundheit. Wien/New York.


Film

Mehr als ich kann. Ein Film über den Pflegealltag im Verborgenen. Herbert Link. Unter Mitarbeit v. Bärbel Danneberg/Birgit Meinhard-Schiebel/Monika Wild. A 2011. Die DVD kann bei der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger (officeatig-pflege.at) bestellt werden.


Weiterführende Literatur:

Honneth, Axel (2000): Das Andere der Gerechtigkeit. Aufsätze zur praktischen Philosophie. Frankfurt am Main.

Honneth, Axel (2010): Das Ich im Wir. Studien zur Anerkennungstheorie. Berlin.

Honneth, Axel (2003): Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Frankfurt am Main.

Zurück